Der Zukunft auf der Spur
BMBF fördert Internationales Kolleg für Geisteswissenschaftliche Forschung der FAU mit knapp 10 Millionen Euro
Was bringt die Zukunft? Diese Frage treibt Menschen überall auf der Welt seit jeher um. Auf der Suche nach Antworten haben Menschen in Europa und Asien über die Jahrhunderte hinweg verschiedene Techniken entwickelt. Das Internationale Kolleg für Geisteswissenschaftliche Forschung „Schicksal, Freiheit und Prognose. Bewältigungsstrategien in Ostasien und Europa“ (IKGF) an der FAU erforscht die Bedeutung dieser Techniken individueller und kollektiver Zukunftsvorhersagen – als weltweit einziges Forschungszentrum, das sich mit diesem Thema beschäftigt.
Das Bundesministerium für Forschung und Bildung (BMBF) setzt die Förderung des IKGF nun mit 9,6 Millionen Euro fort. Der Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, Stefan Müller, hat während einer feierlichen Veranstaltung offiziell den Bewilligungsbescheid an Vertreter der FAU, unter anderem an FAU-Präsident Prof. Dr. Joachim Hornegger, übergeben. Dabei unterstrich Müller die Qualität der wissenschaftlichen Arbeit des IKGF, die von einer hochrangig besetzten internationalen Expertenkommission hervorragend evaluiert worden sei. Er hob den Beitrag geisteswissenschaftlicher Forschung in Zeiten der Globalisierung hervor: „Die Geisteswissenschaften helfen, im Fremden das Verbindende zu finden, eröffnen Horizonte der Annäherung und eben Wege des friedlichen Austauschs.“ Mit ihren Wissensbeständen würfen sie nicht nur gesellschaftlich höchst relevante Fragen auf, sondern lieferten auch Ansätze zu deren Beantwortung.
In der westlichen Welt wird die Zukunft heutzutage oft als unbestimmbar angesehen. Lediglich Prognosen in Form von beobachteten Trends wird Beachtung geschenkt. In Ostasien hingegen spielt die Vorhersage eine integrale Rolle im Leben der Bevölkerung: Sie trägt zum psychischen Wohlbefinden jedes Einzelnen bei. Welche Techniken der Vorhersage es gibt und wie die Menschen in den verschiedenen Jahrhunderten mit dem Konzept Zukunft umgegangen sind, daran forschen die internationalen Wissenschaftler des IKGF an der FAU. In den Forschungsprojekten beschäftigen sie sich beispielsweise mit chinesischen Rishu, zu Deutsch „Tagwahlbüchern“: Anhand dieser Bücher, die früher aus bis zu 500 von Fäden zusammengehaltenen Bambusstäbchen bestanden, informieren sich die Chinesen zum Beispiel, welches Datum für eine Hochzeit besonders günstig ist.
In einem anderen jüngst abgeschlossenen Projekt geht es um Orakelknochen: Die Tierknochen sind die ersten Zeugnisse chinesischer Schrift und dienten der Weissagung. Im Rahmen der Erlanger Grundlagenforschung wurde eine umfangreiche Datenbank erstellt, die das Material fortan der internationalen Forschungsgemeinschaft zugänglich macht. Des Weiteren entstand auch ein Lehrbuch, das als Einführung in die Lektüre der Orakelknochen dient. Der Blick der Erlanger Forscher ist aber nicht nur auf Asien gerichtet. Ein weiteres Projekt beschäftigte sich zum Beispiel unlängst mit Mantik – der Kunst des Sehens und Wahrsagens –, Schicksal und Freiheit. Es resultierte in einer Publikation, in der Philosophen, Historiker und Philologen verschiedene mantische Praktiken des Mittelalters untersuchten.
Neuen Forschungsbereich etabliert
Das IKGF ist eines von zehn Käte Hamburger Kollegs bundesweit, die das BMBF fördert, mit dem Ziel, geisteswissenschaftliche Forschung in Deutschland sowie deren internationale Vernetzung zu stärken. Mit 11 Millionen Euro in der ersten Förderperiode und knapp 10 Millionen in der zweiten, ist das IKGF an der FAU das größte Drittmittelprojekt der Philosophischen Fakultät und Fachbereich Theologie.
Die Investitionen haben sich ausgezahlt: Mit seinen Forschungen erhält das IKGF viel Beachtung in der Wissenschaftswelt. Durch zahlreiche Veröffentlichungen und Konferenzen haben die Erlanger Forscher das Themengebiet Schicksal und Prognose zu einem anerkannten Forschungsgegenstand entwickelt und konnten auch bisher fachfremde Disziplinen für das Thema begeistern. Damit haben sie es aus seiner Nischenexistenz befreit. Das Interesse an dem Thema spiegelt sich auch in der stetig wachsenden Nachfrage an Fellowships wieder – unter anderem von Forschern der amerikanischen Elite-Universitäten Princeton, Harvard und Berkeley. Jeweils bis zu zehn herausragende Fachwissenschaftler kommen für maximal ein Jahr an die FAU und arbeiten hier an den Fragestellungen des Kollegs.
Der Erfolg liegt in der Interdisziplinarität des Kollegs: So arbeiten hier Wissenschaftler aus der Sinologie, Geschichte, Philologie, Religionswissenschaft, Philosophie, Ethnologie, Politikwissenschaft, Soziologie und anderen Fächern zusammen. Neben der inneruniversitären Zusammenarbeit hat das IKGF zudem ein breites internationales Netzwerk aufgebaut und unterhält nun Kooperationen z.B. mit der chinesischen Shandong-Universität und dem Institute for the Study of the Ancient World in New York.
In der zweiten Förderperiode wollen die Erlanger Wissenschaftler ihr Forschungsfeld thematisch und regional erweitern: Neben China und dem europäischen Mittelalter sollen zukünftig auch tibetische und indische Techniken der Vorhersage in den Fokus rücken. So fand in Erlangen im Dezember 2014 gerade der weltweit erste Workshop zur Divination in Tibet und der Mongolei statt. Kernstück der Forschungsarbeit am IKGF während der zweiten Förderperiode sind aber die geplanten Handbücher zu „Prognostication and Prediction in East Asian Society“ und „Prognostics in Premodern Western Societies“. Zudem ist für 2017 eine Ausstellung zum Thema Prognose in Ostasien und Europa geplant.
Weitere Informationen:
Rolf Scheuermann
Tel.: 09131/85-64337
rolf.scheuermann@fau.de