Relativitätstheorie sagt eigenes Versagen voraus
100 Jahre Relativitätstheorie: FAU-Physiker Prof. Thiemann erklärt die Bedeutung der Einsteinschen Theorie
In diesem Jahr wird die Allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein 100 Jahre alt. Aber was besagt sie eigentlich? Und warum sind Physiker auf der Suche nach einer neuen Theorie? FAU aktuell hat dazu Prof. Dr. Thomas Thiemann, Inhaber des Lehrstuhls für Theoretische Physik an der FAU gefragt.
Professor Thiemann und seine Kollegen widmen sich am Institut für Quantengravitation der FAU der Entwicklung und Erforschung einer Theorie, die Einsteins Theorie mit den Gesetzen der Quantenphysik verbindet, also einer „Quantentheorie der Gravitation“. Vom 6. bis 10. Juli 2015 treffen sich rund 200 Expertinnen und Experten aus aller Welt zur Konferenz Loops ‘15 in Erlangen, um sich über die jüngsten Resultate auf dem Gebiet der Quantengravitation auszutauschen.
2015 wird die Allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein 100 Jahre alt. Was macht sie so bedeutsam für das Verständnis unserer Welt?
Die Allgemeine Relativitätstheorie ist eine sehr erfolgreiche Theorie der Gravitation – also der Schwerkraft – und sie hilft uns, auf immensen Skalenunterschieden, vom kleinen Planetensystem bis hin zum ganzen Universum, unsere Welt zu beschreiben und zu verstehen. Bis zu Einsteins Entdeckung galt das Newtonsche Gravitationsgesetz als allgemein anerkannt. Seine Theorie funktioniert in vielerlei Hinsicht auch gut, aber es gab Sachverhalte, bei denen Newtons Gesetz versagte. Zum Beispiel müssten sich nach Newtons Theorie alle Planeten auf elliptischen Bahnen um die Sonne bewegen. Merkur aber weicht davon ab: Er bewegt sich auf einer Ellipse, die sich wiederum um sich selbst dreht. Dies konnte Newton nicht erklären.
Was war das Revolutionäre an Einstein?
Er stellte sich die Schwerkraft nicht mehr als Kraft vor, bei der – übertragen auf unser Planetensystem – die Sonne quasi wie mit Fäden an den Planeten zieht. Sondern er erklärte die Gravitation als geometrisches Objekt. Denken Sie sich ein Segeltuch, das gespannt wird und in dessen Mitte eine Stahlkugel liegt. Die Stahlkugel drückt eine Kuhle in das Segeltuch – und zwar umso tiefer, je höher die Masse der Kugel ist. Würde man nun kleine Bälle auf das Segeltuch legen, würden sie sich auf die Mitte zubewegen – und zwar umso schneller und unaufhaltsamer, je tiefer die Kuhle ist. Die Raumzeit verhält sich – nach Einstein – genauso: Die Geometrie wird überall dort, wo Materie ist, gekrümmt – und die Stärke der Krümmung entwickelt sich proportional zur Massendichte, also Masse pro Volumen.
Dennoch scheint Einstein Erkenntnislücken offenzulassen. Welche?
Die Allgemeine Relativitätstheorie sagt quasi ihr eigenes Versagen voraus, und zwar indem sie sogenannte „Singularitäten“ beschreibt: Punkte in der Raumzeit, an denen die Krümmung unendlich würde, weil die Massendichte unendlich ist. Im Volksmund nennt man solche Singularitäten Schwarze Löcher – schwarz, weil dort eine unendlich große Gravitation herrscht, die nicht einmal Licht entweichen lässt. Und damit stößt die Einsteinsche Theorie an ihre Grenzen: Immer dann, wenn in physikalischen Gleichungen plötzlich Werte auftauchen, die unendlich sind, haben wir – so die bisherigen Beobachtungen in der Physik – den Gültigkeitsbereich einer Theorie überspannt.
Es gibt nichts, was darauf hindeutet, dass es tatsächlich unendliche Dinge gäbe. Vor Entdeckung der Quantenphysik etwa ging man davon aus, die Welt bestünde aus Atomen, in denen sich Elektronen um einen Kern drehen wie Planeten um eine Sonne. Jedoch sagte die damals gängige Theorie voraus, dass sie dabei immer mehr Energie in Form von Licht abstrahlen, bis sie schließlich in den Kern stürzen. Dabei würde die elektrische Kraft zwischen Kern und Elektron unendlich, es gäbe keine chemischen Elemente und kein Leben. Das dies nicht so sein kann und warum Atome stabil sind, konnte erst die Quantentheorie erklären.
In welche Richtung denkt die Physik heute?
Gehen wir davon aus, dass unendliche Werte tatsächlich darauf hindeuten, dass man den Gültigkeitsbereich einer Theorie überschritten hat: Dann brauchen wir eine neue Theorie. Bislang ist es der Physik gelungen, drei der vier Wechselwirkungen, die wir kennen – die elektromagnetische, die starke und die schwache Wechselwirkung – mit der Quantentheorie zu harmonisieren. Nur bei der Gravitation haben wir das bisher nicht geschafft.
Was sind die Herausforderungen?
Wir wissen mittlerweile, dass unsere Techniken nicht ausreichen. Dabei haben wir ein eher mathematisches Problem: Jedes Mal, wenn in der Physik ein Fortschritt zu verzeichnen war, wenn eine neue Erkenntnisstufe erreicht wurde, mussten die Physiker eine neue Mathematik mit in den Werkzeugkasten nehmen. Um die Maxwell-Gleichung zu verstehen, reichte es noch, gut in Differentialrechnung zu sein. Für die Quantentheorie benötigten wir die Funktionalanalysis. Jetzt sind wir auf der Suche nach neuen mathematischen Instrumenten, die es erlauben, die bisherigen Engpässe zu überwinden und die Einsteinschen Gleichungen auch in der Quantentheorie im Zaum zu halten. Das geht nur gemeinsam mit unseren Kollegen und Kolleginnen aus der Mathematik.
Was könnte denn das Ergebnis sein?
Das lässt sich schwer prognostizieren. Alles ist denkbar. Man könnte herausfinden, dass es den Urknall gar nicht gegeben hat – mit all den philosophischen Implikationen, die das hätte. Es könnte eine Zeit vor dem Urknall gegeben haben und Universen vor unserem Universum. Oder es könnte – wie es die indischen Religionen glauben – einen ewigen Kreislauf geben, ohne Anfang und Ende.
An so maßgeblichen Fragen müsste doch weltweit intensiv geforscht werden.
Leider ist das nicht so. Aber nicht etwa, weil es kein Interesse gäbe – sondern weil in diesem Forschungsfeld wenig Fördergelder fließen. Die Forschung ist sehr anwendungsorientiert geworden – und wenn die Anwendung nicht unmittelbar in Sicht ist … Sie sehen, wie lang es gedauert hat, bis aus der Entdeckung der Quantentheorie die erste Anwendung entstand, die Normalsterblichen nützt: der Computer nämlich. Oder denken Sie an die Zeitspanne zwischen Einstein und der Erfindung des GPS, für dessen Genauigkeit die Relativitätstheorie unabdingbar ist. Aber dafür sind Quantengravitationsforscher besonders intensiv vernetzt: Alle zwei Jahre treffen sich bei der Loops Konferenz Leute aus 15 bis 20 Forschungszentren rund um den Globus, die an diesen Fragestellungen arbeiten. Nach vorherigen Treffen in Marseille, Potsdam, Morelia, Peking, Madrid und Toronto dieses Jahr nun in Erlangen. Da werden wir uns austauschen – und sehen, wie weit wir bislang gekommen sind.
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Thomas Thiemann
Tel.: 09131/85-28471
thomas.thiemann@gravity.fau.de