Arbeiten im Grenzbereich zwischen Leben und Tod
Ein Besuch auf der Palliativstation des Uni-Klinikums Erlangen
Auf dem Tresen am Eingang brennt eine große Kerze, eine von denen mit elektrischer Flamme – aber ihr Licht leuchtet warm. Genauso warm wie die Terrakotta-Töne, in denen die Wände der Gänge gestrichen sind. Neben dem Eingang ein Wohnzimmer, ausgestattet mit Couch, Büchern, Klavier. Daneben eine Küche, an der Wand ein Zettel. Er fordert dazu auf, zu kochen und zu backen. Das Ungewöhnliche: Wir befinden uns im Krankenhaus, auf der Palliativstation des Uni-Klinikums Erlangen. Die Kerze am Eingang brennt, weil in der Nacht ein Patient verstorben ist. Der Tod gehört hier dazu.
„Es geht darum, hinzunehmen, ohne passiv zu sein. Wir machen noch sehr viel, nur der Fokus der Therapie hat sich verschoben“, erklärt Prof. Dr. Christoph Ostgathe, der die Palliativmedizinische Abteilung leitet.
Das multidisziplinäre Team der Station hilft unheilbar kranken Menschen dabei, Energie für den Alltag zu schöpfen und innere Ruhe zu finden. Die Schmerzen der Patienten sollen gelindert, Symptome vermindert werden. Damit das gelingt, arbeiten speziell geschulte Pflegekräfte, Ärzte, Psychologen, Seelsorger, Sozialarbeiter und Physiotherapeuten eng zusammen. „Unsere Arbeit ist auch für uns persönlich eine große Herausforderung. Wir arbeiten ständig im Grenzbereich, aber wir machen es gern. Wir kümmern uns auch besonders um unsere Mitarbeiter. Nur ein funktionierendes Team kann eine solche Belastung tragen“, sagt Mediziner Ostgathe. Das gemeinsame Ziel: den Patienten so weit zu stabilisieren, dass er wieder nach Hause, in ein Hospiz oder Pflegeheim entlassen werden kann.
Hier forschen nicht nur Mediziner
Aber nicht nur auf der Station, die vor fünf Jahren gegründet wurde, wird am Uni-Klinikum palliativmedizinisch gearbeitet. Schwerkranke Menschen in anderen Abteilungen werden über einen palliativmedizinischen Dienst mitbetreut – etwa 700 Patienten im Jahr. Und die Forschung gehört ebenso dazu. Sie hat zum Ziel, palliativmedizinische Versorgungsangebote und Behandlungen zu entwickeln und zu verbessern. Interessant: Hier arbeiten Mediziner zusammen mit Psychologen, Gesundheitswissenschaftlern und Soziologen.
Sie erforschen, wie die Behandlung nach dem Aufenthalt auf der Palliativmedizinischen Abteilung weitergeht, wie viele Patienten stabil geblieben sind, welche Behandlung effektiv ist. Sie forschen aber auch zum Lebenswillen und Todeswunsch am Lebensende. Ein wichtiges Instrument sind Befragungen. „Kein Patient ist verpflichtet, an Umfragen teilzunehmen, viele machen es aber gern“, erklärt PD Dr. Stephanie Stiel, die die Forschungsstelle Palliativmedizin leitet. „Sie freuen sich oft, bei all der Hilfe, die sie hier erhalten, etwas zurückgeben zu können.“
Ein lebenswertes Leben bis zuletzt
Bei seiner Arbeit behandelt das Palliativ-Team nicht nur körperliche Beschwerden wie Schmerzen oder Atemnot, sondern hilft auch auf psychischer, spiritueller und sozialer Ebene – Patienten genauso wie deren Angehörigen. Denn auch sie brauchen Hilfe, Mutter, Vater oder den Partner in dieser schweren Situation zu begleiten. Die Psychologin Sonja Hofmann hilft Patienten und Angehörigen dabei herauszufinden, wie sie mit Erkrankung, Abschied und Trauer umgehen können.
Auch die Klinikseelsorgerin Christine Günther unterstützt bei der Suche danach, was Freude und Hoffnung gibt – unabhängig davon, ob die Patienten besonders religiös sind. Der Förderverein Palliativmedizin macht es außerdem möglich, eine Musiktherapeutin zu beschäftigen. Sie lässt Patienten über Klänge in Erinnerungen eintauchen und hilft seelische Erstarrungen zu lösen. Auch Konzerte und Kabarett auf der Station sind nur durch den Förderverein möglich.
Der Mensch und seine unterschiedlichen Dimensionen von Leid stehen in der Palliativmedizinischen Abteilung immer im Mittelpunkt. Auch bei der wöchentlichen Teamvisite, an der alle Mitarbeiter teilnehmen. Zehn Betten hat die Station, auf der im Jahr etwa 350 Patienten behandelt werden. Der Reihe nach bespricht das Team jeden einzelnen Patienten: Wie fühlt er sich? Wie hat er geschlafen? Was erhofft er sich, was seine Familie? Zusammen definieren sie Wochenziele. Dazu kann gehören, eine nebenwirkungsreiche Therapie nicht zu verfolgen, weil es wichtiger ist, dass der Patient die ihm noch verbleibende Zeit wirklich nutzen kann. Oder dass ein Pfleger einer kranken, älteren Frau ihr eigenes Nachthemd anzieht, damit sie sich wohler fühlt. Bei einem Patient, der bis jetzt zu Hause versorgt wurde, bietet es sich vielleicht an, dass er in ein Hospiz wechselt. Bei der Organisation unterstützt Sozialpädagogin Sibylle Frinken die Angehörigen. Sie kennt alle wichtigen Beratungsstellen und Pflegedienste.
Arbeiten ohne nasse Lappen
„Um gute palliative Versorgung zu gewährleisten, braucht es auch eine gute allgemeine Versorgung durch Hausärzte, Pflegedienste und Altenheime. Deshalb wollen wir auch die allgemeine Versorgung durch Aus- und Weiterbildungen stärken“, erläutert Ostgathe. Palliativmedizin ist inzwischen fest im Medizinstudium verankert. Die Studierenden lernen so bereits früh, Therapiepläne aufzustellen oder üben in Rollenspielen oder an Puppen den Umgang mit Patienten. Die Palliativmedizinische Abteilung gehört außerdem zu einem regionalen Netzwerk, in dem auch die ambulante Versorgung, Hospizdienste und Hausärzte eingebunden sind und gibt bei Bedarf ihr Wissen weiter.
„Nicht jeder kommt mit der palliativen Einstellung gleich zurecht“, stellt Oberärztin Dr. Susanne Weigel fest. „Man sollte dem anderen die Wahrheit wie einen Mantel hinhalten, dass er hineinschlüpfen kann, und sie ihm nicht wie einen nassen Lappen um die Ohren schlagen“, zitiert sie Max Frisch und erklärt weiter: „Bei vielen Patienten wissen wir anfangs noch gar nicht, wo die Reise hingeht. Sie sollen hier einen angstfreien Raum haben, um sich zu entwickeln. Wir geben ihnen Sicherheit. Den Takt geben die Patienten dann selbst vor.“
Neugierig auf mehr?
Dieser Text erschien auch in unserem Magazin alexander. Weitere Themen der Ausgabe Nr. 97: ein Interview mit Präsident Prof. Dr. Karl-Dieter Grüske über 13 Jahre an der Spitze der FAU, ein Bericht über einen neuen Geocache im Botanischen Garten sowie ein Interview mit der ARD-Korrespondentin Christine Adelhardt in Peking, die an der FAU studiert hat.