Quantensprung im Klassenzimmer
Physikdidaktiker der FAU bringen den Lehrplan der Schulen auf den Forschungsstand des 21. Jahrhunderts. Und das heißt: keine Scheu vor Quantenoptik.
von Ilona Hörath
Und wo sind die kleinen grünen Männchen, die bestimmen, in welche Richtung das Photon abgelenkt wird? Oder hat es einen eigenen Willen?
(Über den Quantenzufall – Aus dem Lerntagebuch einer Schülerin der 10. Klasse)
Der Ort:
Physikalisches Institut der FAU, Fachgebiet Didaktik der Physik.
Der Raum:
Ein schmales und lang gestrecktes Labor. An einer Wand steht ein sogenannter optischer Tisch mit einem Versuchsaufbau. Auf der Stahlplatte mit Gewinderaster sind ein Laser, ein Bariumborat-Kristall, zwei lichtempfindliche Detektoren, die Alice und Bob heißen, Umlenkspiegel, halbdurchlässige Spiegel und andere optische Komponenten montiert. Drumherum befinden sich Auswertungsgeräte und ein Bildschirm.
Der Mann:
Prof. Jan-Peter Meyn. Leiter der Abteilung für Didaktik der Physik und ausgewiesener Fachmann in Sachen Quantenoptik und Quanteninformationen. Und Erneuerer.
Der Versuch:
Der Tisch mit dem Versuchsaufbau ist nicht einfach nur ein Tisch mit einem Versuchsaufbau. „Der Tisch ist das weltweit erste Quantenexperiment, das eigens für Schüler entwickelt wurde“, erklärt Jan-Peter Meyn stolz. Dem Zufall ist hier nichts überlassen, auch wenn es um den Zufall geht. Und zwar um den „Zufall der Quantentheorie“. Denn der Zufall ist, sagt Meyn, ein Wesensmerkmal der Quantentheorie. Mit dem Quantenzufall kommt jeder in Berührung, der etwa zu Hause am Rechner Online-Banking betreibt: PINs und TANs werden teilweise schon von sogenannten Quantenzufallsgeneratoren erzeugt. Für die meisten Menschen ist die Quantenphysik jedoch schlichtweg eine ziemlich komplexe Materie.
Für Jan-Peter Meyn ist sie es nicht. Er verfolgt mit dem didaktischen Versuchsaufbau und unterschiedlichen Quantenexperimenten ein ganz spezielles Ziel: „Wir wollen Gymnasiasten der Klassenstufen zehn bis zwölf und Waldorfschülern sowie Studierenden neue Zugänge zeigen, ihnen vermitteln, mit welchen Geräten im 21. Jahrhundert in der Forschung gearbeitet wird und was das Besondere an Quantenexperimenten ist.“
Wissensstand von vor hundert Jahren
Dahinter stecken völlig neue Experimente, Unterrichtskonzepte und Curricula zur Quantenoptik, die Meyn an seinem Institut entwickelt hat. Aus gutem Grund. „In der Schule wird Quantenphysik meist in Anlehnung an die historische Entwicklung unterrichtet und ist im Wesentlichen ein Abbild des Wissenstands von maximal 1930“, erläutert Meyn. Der Abstand zur aktuellen Forschung vergrößere sich also von Jahr zu Jahr. Als einer der klassischen Versuche der Quantenphysik, der sowohl im Physikunterricht als auch in der Lehrerausbildung noch heute beliebt ist, gilt zum Beispiel der Franck-Hertz-Versuch. Er stammt aus den Jahren 1911 bis 1914 und demonstriert, wie Atome Energie aufnehmen und wieder abgeben. „Die wesentlichen Erkenntnisse in der Schulphysik – etwa über die Kräfte, die Bewegung, den Strom und die Wärme – wurden im 18. und 19. Jahrhundert gewonnen. Es ist seither nichts Neues dazugekommen“, sagt Meyn.
Der Physiker will hingegen moderne Physik vermitteln und aktuelle Forschungsthemen für die allgemeinbildenden Schulen aufbereiten. „Wir denken die Quantenphysik aus der Quantenoptik heraus, das heißt, dass Materie sich wie Licht verhält und der Materie für sie im Alltag sehr untypische lichtartige Eigenschaften zugeordnet werden.“ Anders gesagt: Es gilt – für Schülerinnen und Schüler „greifbar und erlebbar“ – die Quantennatur des Lichts nachzuweisen.
Die Natur des Lichts verstehen
Und so versammeln sich die Schülerinnen und Schüler rund um die Versuchsanordnung im Labor des Fachgebiets Didaktik der Physik. Da Experimente mit Licht weder ein Vakuum noch
tiefe Temperaturen oder andere besondere technische Vorkehrungen benötigen, präparieren die Schüler unter fachlicher Anleitung einzelne Photonen und untersuchen deren Verhalten an einem halbdurchlässigen Spiegel. Mit diesem Versuch widerlegt Jan-Peter Meyn eine zentrale Theorie: „Wir zeigen, dass Licht eben nicht aus Photonen besteht, sondern dass das einzelne Photon einen speziellen Zustand des Lichts darstellt.“
In anderen Versuchsaufbauten der aktuellen Grundlagenforschung geht es etwa um Quantenkryptographie oder um den Beweis, dass einzelne Photonen sich in den klassischen optischen Experimenten genauso verhalten wie Licht oder dass sie sich „zusammenrotten“ können. Es geht auch um Messmethoden und um Verfahren, mit denen man bei der präzisen Vermessung des Lichts gerätetechnisch bedingte „Unzulänglichkeiten ausfiltern“ kann. So tauchen die Schüler gänzlich in die Welt der Quantenoptik ein und lernen, „was das Wesentliche an einem Experiment ist“.
Und die Schüler selbst? Die Reaktionen seien interessant, sagt Jan-Peter Meyn. Gegenüber den Experimenten gebe es keinerlei Berührungsängste. „Sie gehen, vom Lehrer gut vorbereitet, unvoreingenommen an die Versuche heran.“ Dennoch werden sie unterstützt. „Wir nehmen die Schülerperspektive ein“, betont Meyn. Es sei die „Erlanger Spezialität“, dass angehende Physiklehrer bei den Versuchen ihr pädagogisches Spezialwissen einsetzen und genau wissen, wie man auf Schülerfragen aller Art reagiert.
Die Quantenexperimente lassen sich übrigens auch auf www.quantumlab.de simulieren. Damit nicht genug: Seit mittlerweile zwei Jahren geht der Rastertisch als mobile Versuchsanordnung auch auf Reisen. In den Schulen stehen dann die Experimente im Mittelpunkt des Physikunterrichts – und nicht „mathematischer Formalismus“.
Doch können die Schülerinnen und Schüler die Quantennatur des Lichts eigentlich auch sehen? „Ja“, sagt Jan-Peter Meyn. „Sie wird durch eine Zahl auf dem Bildschirm angezeigt.“
Neugierig geworden?
Dieser Text erschien zuerst in unserem Forschungsmagazin friedrich zum Thema Licht. Lesen Sie im friedrich Nr. 114, warum die letzten Worte Goethes für die Wissenschaft ein Auftrag sind, was Licht ist, woher es kommt, warum wir es sehen, was Licht mit uns macht.
Weitere Beiträge aus dem Magazin finden Sie auch hier im Blog, unter dem Stichwort „friedrich“.