„Netanyahu polarisiert und gewinnt“
Er hat sich überraschend durchgesetzt: Bei der Parlamentswahl in Israel wir die Likud-Partei von Premier Benjamin Netanyahu erneut stärkste Kraft – entgegen den Prognosen der vergangenen Tage. Wie der konservative Politiker das Rennen noch drehen konnte und was das Wahlergebnis für den Friedensprozess im Nahen Osten bedeutet, erklärt Peter Lintl, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Zeitgeschichte/Politikwissenschaft des Nahen und Mittleren Ostens an der FAU.
Benjamin Netanjahu hat es wieder geschafft: Der amtierende Ministerpräsident Israels gewinnt auch die Neuwahlen und erringt mit der Partei Likud 30 der 120 Sitze. Sein Konkurrent Jitzchak Herzog, von der Parteiliste Zionistische Union hat zwar mit 24 Sitzen ein solides Ergebnis eingefahren. Defacto hat er aber auf Grund der politischen Konstellationen im israelischen Parlament, dessen Parteien mehrheitlich dem rechts-religiösen Block zuzurechnen sind, keine Chance mehr auf das Amt des Ministerpräsidenten.
Dabei kam der Sieg Netanyahus überraschend. Noch bei den letzten Umfragen (haaretz.com) vor der Wahl, die in Israel nur bis fünf Tage vor Wahltag veröffentlicht werden dürften, lag Netanyahu rund vier Sitze hinter der Partei seines Herausforderers. Der Wahlkampf wurde stark über wirtschaftliche Themen geführt, was insbesondere kleinere Parteien wie Yesh Atid oder Kulanu, die die extremen Teuerungsraten in Israel thematisierten, zu potentiellen Gewinnern werden ließ. Aber offensichtlich konnte Netanyahu in den letzten fünf Tagen die Wähler noch entscheidend umstimmen – und zwar, indem er stark polarisierte. Zwei Äußerungen können stellvertretend angeführt werden. Erstens hat er eine Aussage von 2009 widerrufen und erklärt, dass es mit ihm keinen palästinensischen Staat (timesofisrael.com) geben würde. Zweitens hat er noch während des Wahltages versucht potentielle Wähler zu mobilisieren, indem er auf seiner Facebookseite schrieb, dass die israelischen Araber „in Scharen“ (haaretz.com) zur Wahl gehen würden. Die zentrale Aussage Netanyahus war dabei recht holzschnittartig, aber effektiv: Ein palästinensischer Staat würde ein Staat des radikalen Islams werden. Die israelische Linke und die israelischen Araber wollen einen palästinensischen Staat neben Israel; er als Ministerpräsident wird diesen hingegen verhindern.
Mit diesen oftmals parolenartigen Äußerungen ist es ihm in den letzten Tagen gelungen, den Wahlkampf auf tiefsitzende Ängste vieler Israelis zu reduzieren. Insbesondere konnte Netanyahu seine Position im rechten politischen Spektrum durch diese Aussagen konsolidieren.
Für die Koalitionsbildung stehen derzeit zwei Varianten im Raum: Eine mitte-rechts Regierung, die Parteien wie Yesh Atid oder sogar die Zionistische Union in einer großen Koalition vereint, oder eine rechts-religiöse Koalition aus politischen Falken (wie der Siedlerpartei „Habayit Hayehudit“ oder „Yisrael Beitanu“), Ultraorthodoxen (Shas und dem Vereinigten Thorajudentum) und der neugegründeten Partei „Kulanu“, die vor allem sozialwirtschaftliche Themen vertritt. Letzterer fällt auch eine Schlüsselstellung zu, denn sie wird für jede realistische Koalitionsbildung nötig sein. Wahrscheinlich scheint derzeit allerdings eine religiös-rechte Koalition, für die sich Netanyahu unterdessen auch ausgesprochen hat.
Unabhängig von der noch zu findenden Regierungskoalition kann man aber bereits jetzt festhalten, dass dieser Wahlkampf Spuren hinterlassen hat: Erstens hat er die israelische Gesellschaft mehr denn je polarisiert. Insbesondere Netanyahus „last minute“-Warnung vor den Stimmen der israelischen Araber klassifiziert diese de facto als Sicherheitsrisiko im eigenen Staat. Zweitens ist eine Kooperation mit den Palästinensern auf absehbare Zeit nicht mehr möglich. Wenn die israelische Rechte in den letzten Jahren immer gepredigt hat, dass es keinen friedenswilligen Gesprächspartner auf palästinensischer Seite gibt, hat Netanyahu deutlich gemacht, dass das unter seiner Amtszeit auch für Israel zutreffen wird. Drittens wird eine weitergehende Isolation Israels wahrscheinlich sein. Insbesondere trifft dies für die USA zu, solange Obama im Amt bleibt, aber auch für die am Friedensprozess interessierte EU.
Damit scheint die Idee der Zwei-Staaten-Lösung für Israelis und Palästinenser für den Moment ad acta gelegt. Ob sich neue Konstellationen im Nahen Osten und neue Lösungsversuche dieser Frage, etwa im Kontext der geänderten Bedrohungslage durch den Islamischen Staat ergeben, bleibt abzuwarten.
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Peter Lintl
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