Vom Seminar zum Slam
Wissenschaft unterhaltsam, aber informativ erklärt – in nur zehn Minuten
„Ich möchte gern über Kulturgeografie reden. In meinem Vortrag geht es um das Konzept der Erfahrung anhand einer individualistischen Theorie“, fängt FAU-Doktorandin Annika Zeddel an. Die Rückmeldung folgt sofort: „Individualistische Theorie ist zu wissenschaftlich“, wirft Philipp Schrögel, Lehrbeauftragter am Zentralinstitut für Angewandte Ethik und Wissenschaftskommunikation (ZIEW), ein. „Da klinken sich die Zuhörer aus. Fremdwörter solltest du vermeiden.“ Ein Freitagnachmittag in der Villa an der Schwabach. Zeddel und Schrögel sitzen mit Studierenden und Sprechtrainer Stefan Rieger, ebenfalls Mitarbeiter am ZIEW, zusammen. Sie erarbeiten ihre Vorträge für den Science Slam Erlangen-Nürnberg. So weit nicht außergewöhnlich, werden Science Slams bundesweit doch immer beliebter. Dass sie, wie an der FAU, als Seminar angeboten werden, ist schon bemerkenswerter.
Der Sieger des Science Slam 2015: Simon Reif
Weitere Videos des Science Slam 2015 in Nürnberg gibt es im Videoportal der FAU
Das Publikum kürt den Sieger
Bei Science Slams treten junge Wissenschaftler sowie Studierende in einem Vortragswettbewerb gegeneinander an. Ziel ist es, wissenschaftliche Themen unterhaltsam und für Laien verständlich vorzutragen – und das in nur zehn Minuten. Den Sieger des Wettbewerbs kürt das Publikum. Beim Science Slam Erlangen-Nürnberg bewerten die Zuschauer die Vorträge in zwei Kategorien. „Science“ bewertet, wie viel die Zuschauer inhaltlich gelernt haben, in der Kategorie „Slam“ vergibt das Publikum Punkte dafür, wie unterhaltsam die Vorträge sind. Philipp Schrögel und seine Slammer wollen dabei vor allem wissenschaftliche Inhalte vermitteln – auch wenn die Unterhaltung nicht zu kurz kommen darf.
In diesem Semester haben sich in dem Seminar fünf Nachwuchsslammer auf den Auftritt vor großem Publikum vorbereitet. Die Gruppe sowie die Themen sind dabei bunt gemischt: Von Teilchenphysik bis Philosophie, von chemischer Reaktionstechnik bis Kulturgeografie stellen Doktoranden, Bachelor- und Master-Studierende sowie ein Postdoc ihre Forschungsthemen vor. Besonders freut Seminarleiter Schrögel, dass dieses Mal auch weibliche Slammer sowie Vertreter aus den Geisteswissenschaften mit dabei gewesen sind. „Normalerweise überwiegen bei Science Slams Teilnehmer aus den naturwissenschaftlichen und technischen Fächern.“
Bevor sie jedoch ihren Vortrag erstellen, haben die Teilnehmer des Seminars zunächst die Grundlagen für einen guten Slam-Beitrag erlernt: Wie identifizieren sie Kernbotschaften? Wie funktioniert Scientific Storytelling? „Wichtig ist besonders, dass die Studierenden überlegen, inwiefern ihr Thema auch für Frau und Herrn Müller auf der Straße wichtig ist und wie sie es in eine unterhaltsame Geschichte verpacken können“, meint Schrögel, der seit Jahren in der Wissenschaftskommunikation arbeitet.
Zurück in der Villa Schwabach. Inzwischen ist Benedikt Kopera mit seinem Vortrag an der Reihe. Der Masterstudent setzt sich mit geografischen Karten auseinander: Warum wird ihnen vorbehaltslos geglaubt? Wie manipulieren Kartografen ihre Werke? Und was sind die Auswirkungen auf die Nutzer? Sein Vortrag klingt schon geübt, die Sätze kommen flüssig – kein Wunder, schließlich ist er als Teilnehmer des ersten Science-Slam-Seminars inzwischen erfahrener Slammer. Dennoch gibt Sprechtrainer Rieger, der Schrögel bei dem Seminar unterstützt, noch Tipps, wie Kopera den Vortrag verbessern kann: „Pro Satz gibt es ein wichtiges Wort, das musst du ans Ende stellen. Sonst wird der Vortrag für das Publikum schnell langweilig.“
Erst Applaus, später Schweigen
Kopera ist an diesem Freitagnachmittag beim Workshop dabei, um den Neulingen etwas von seinen Erfahrungen weiterzugeben. Ebenfalls als „Alumnus“ mit dabei ist Doktorand Simon Reif von der Professur für Gesundheitsökonomie. Zusammen haben die beiden inzwischen bei etlichen Science Slams in ganz Deutschland mitgemacht – mit großem Erfolg. So traten Reif und Kopera beispielsweise im Regionalentscheid Süd in Esslingen an. Reif qualifizierte sich für das Bundesfinale Anfang Dezember in Berlin. Kopera belegte den dritten Platz, verfehlte damit knapp die Qualifikation. In Berlin kam der Vortrag von Reif über seine Doktorarbeit zu Fallpauschalen bei Frühgeburten jedoch nicht mehr so gut an, er belegte den letzten Platz. „Es ist schon merkwürdig, wie unterschiedlich Vorträge bei verschiedenen Zuschauern ankommen. In Esslingen wurde der Vortrag gefeiert, in Berlin hingegen wurde ich angeschwiegen. Aber immerhin hat die Stuttgarter Zeitung nach dem Finale ausführlich über mein Thema geschrieben, das fand ich cool! Normalerweise erreicht man mit seiner Forschung ja nicht die große Öffentlichkeit“, resümiert Reif.
Für die Lehre lernen
Was sich nach viel Spaß anhört, hat aber auch einen ernsten Hintergrund: Das Seminar vermittelt den Teilnehmern Wissen für ihr späteres Berufsleben – deswegen erhalten Studierende dafür auch ECTS-Punkte. Annika Zeddel hat das Seminar beispielsweise genutzt, um sich auf die Lehrtätigkeit vorzubereiten. „Als Doktorandin halte ich auch Bachelor-Seminare. Für die Lehre ist es sinnvoll, Inhalte runterbrechen zu können. Manchmal steckt man so tief in einem Thema drin, dass man gar nicht merkt, wie fremd einige Begriffe eigentlich sind. So wie ,individualistische Theorie´“, erklärt sie. „Darüber habe ich gar nicht nachgedacht. Der Begriff war für mich normal.“
Mehr Informationen und Bilder gibt es auf der Webseite des Science Slam Erlangen-Nürnberg
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Diese Reportage erschien auch in unserem Magazin alexander. Weitere Themen der Ausgabe Nr. 97: ein Interview mit Präsident Prof. Dr. Karl-Dieter Grüske über 13 Jahre an der Spitze der FAU, eine Reportage über die Palliativstation des Uni-Klinikums, ein Bericht über einen neuen Geocache im Botanischen Garten sowie ein Interview mit der ARD-Korrespondentin Christine Adelhardt in Peking, die an der FAU studiert hat.