Für Wolfgang Krebs soll Inklusion zur Selbstverständlichkeit werden
FAU-Dozent bietet Seminare für sehende, blinde und stark sehbehinderte Studierende an
In Seminaren von PD Dr. Wolfgang Krebs nützt es nichts, sich zu melden. Er wird die Studierenden nicht aufrufen – nicht weil er es nicht möchte, sondern weil er sie und ihren gestreckten Arm nicht sieht. Krebs ist stark sehbehindert. „Mein Sehvermögen tendiert gegen null“, sagt er zu Beginn des Seminars „Stilübungen zum wissenschaftlichen Arbeiten“. Er bietet den Kurs an der FAU im Bereich Schlüsselqualifikation an und möchte, dass auch stark sehbehinderte oder blinde Studierende ohne Hürden daran teilnehmen können. Sein Ziel ist erreicht, wenn Inklusion zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist.
Im Seminar „Stilübungen“ hat er es geschafft. Neben den Studierenden mit vollem Sehvermögen nimmt auch Daniela Preiß teil. Sie ist fast erblindet, kann nicht mehr mit den Augen lesen und sich nicht ohne den weißen Blindenstock orientieren. Dank technischer Hilfsmittel kann sie wie jeder andere am Unterricht teilnehmen. Auf ihren Beinen liegt eine Braillezeile. Das Gerät überträgt die Computerschrift in die Blindenpunktschrift Braille. Zudem hat sie am Computer einen sogenannten Screenreader installiert. Damit kann sie sich den Text vorlesen lassen. Um die Geräte nutzen zu können, müssen ein paar Voraussetzungen beachtet werden: Zum einen kann das Programm keine Bilder verarbeiten und somit auch keine Powerpoint-Präsentationen oder PDFs, zum anderen muss der Text der Studentin vorliegen. Und genau das ist häufig ein Problem. Jedes Semester muss Daniela Preiß erneut mit ihren Dozenten sprechen und sie auf ihre individuellen Bedürfnisse hinweisen. „Es ist sehr viel Mehraufwand“, sagt Preiß. Sie hat sich durchgekämpft und ihr Studium in Buchwissenschaft, Politik und Geschichte abgeschlossen. Inzwischen schreibt sie an ihrer Doktorarbeit.
15 bis 20 stark sehbehinderte Studierende an der FAU
Daniela Preiß ist eine von wenigen stark sehbehinderten Studierenden an der FAU. Wie viele genau es sind, weiß Wolfgang Krebs nicht, er schätzt die Zahl auf 15 bis 20. Ihnen möchte er durch spezielle Kurse Unterstützung anbieten und sie dadurch besser auf die Anforderungen in Studium und Beruf vorbereiten. So bietet er bei Bedarf beispielsweise einen Kurs zum Programm Microsoft Word an. Schon für Sehende kann es schwierig sein, sich durch die Menüs zu klicken, für blinde Menschen ist es eine ganz andere Herausforderung. Mit Anweisungen wie „klicke oben rechts“ können sie nichts anfangen.
Grundsätzliche Anforderungen, wie ein Seminar aufgebaut sein muss, dass es den Anforderungen von Sehbehinderten entspricht, können nicht aufgestellt werden. „Es ist sehr unterschiedlich“, sagt Daniela Preiß. Sie etwa kann nur durch ihre Braillezeile lesen, Wolfgang Krebs dagegen kann noch einen stark vergrößerten Text erkennen. Er hat dazu auf seinem Computer eine Software installiert, die den Text vergrößert. Den Text auf einer Powerpoint-Präsentation, die mittels eines Beamers an die Wand geworfen wird, könnte er dennoch nicht entziffern. Also verzichtet er in seinem Seminar auf solche Präsentationsformen. Seine Materialien hat er ins Internet hochgeladen. Es sind keine aufwendig gestalteten Unterlagen, sondern schlicht gehaltene Seiten, die auch ein stark Sehbehinderter durch technische Hilfsmittel lesen kann. Daniela Preiß ist froh über solche Angebote, die sich an ihren Erfordernissen orientieren.
Blinde Studentin kämpft sich durch
Preiß hat schon früh gelernt, ihre Bedürfnisse zu äußern. Sie hat ein Regelgymnasium besucht. An einer Schule speziell für Blinde hätte sie in Nürnberg nur den Realschulabschluss machen können. Sie aber wollte nicht einen der typischen Berufe für Blinde erlernen, sondern studieren. Die Wahl des Studienortes fiel wegen der Nähe zur Heimat und wegen des Studienfaches auf Erlangen. In den ersten Wochen und Monaten hat ihre Mutter viel Zeit investiert, um gemeinsam mit ihr die Stadt kennenzulernen. Da etwa Raumnummern und Hinweisschilder nicht in Brailleschrift sind, musste Daniela Preiß alle Wege auswendig lernen und sich merken wo beispielsweise der Hörsaal 0.015 im Kollegienhaus oder eine spezielle Teilbibliothek ist.
„Viele trauen es sich nicht zu, ein Studium überhaupt anzufangen“, sagt Wolfgang Krebs. Er hat schon Vorträge in der Blindenschule in Nürnberg gehalten, um Ängste abzubauen. Blinde und stark sehbehinderte Studierende können sich an ihn wenden. Er ist ein Ansprechpartner, „der Schwierigkeiten mit durchficht“, sagt Krebs.
„Als ich Herrn Krebs begegnet bin, habe ich sofort die einmalige Chance erkannt, mit ihm ein Programm zu entwickeln, bei dem nicht nur über Inklusion abstrakt schwadroniert wird, sondern den Betroffenen konkret geholfen wird“, sagt Dr. Rudolf Kötter, der Geschäftsführer des Zentralinstituts für Angewandte Ethik und Wissenschaftskommunikation (ZIEW). So wurde Wolfgang Krebs am ZIEW im Bereich Schlüsselqualifikationen als Lehrperson angestellt und vermittelt dort seine Kenntnisse an sehbehinderte aber eben auch an „normalsichtige“ Studierende.
Behindertenbeauftragter hilft weiter
Behinderte Studierende können sich neben Wolfgang Krebs vor allem auch an Dr. Jürgen Gündel wenden. Er ist Behindertenbeauftragter an der FAU und hilft, den Nachteil zu kompensieren, den die Studierenden durch ihre Behinderung haben. So kann bei Prüfungen beispielsweise eine Zeitverlängerung beantragt werden, da stark Sehbehinderte länger zum Lesen benötigen, oder sie können fordern, eine schriftliche Prüfung in eine mündliche umzuwandeln. Ein Ausgleich kann aber auch durch technische Geräte geschaffen werden, die in Prüfungen verwendet werden dürfen.
Weitere Informationen:
PD Dr. Wolfgang Krebs
wkrebs@wk-wkw.de