Weitaus mehr als eine Glaubensfrage
FAU-Wissenschaftler erforschen erstmals, worauf es in der sozialen Arbeit mit Muslimen ankommt
Sie betreten bislang kaum erforschtes Terrain: Mit der Tagung „Islam und Soziale Arbeit“, die noch bis Samstag, 27. September, in Nürnberg stattfindet, setzen Wissenschaftler der FAU einen weiteren Akzent in der sozialen Arbeit mit muslimischen Zielgruppen. Denn im Mittelpunkt steht die Frage: Welche speziellen Kompetenzen benötigen Betreuer und Begleiter von Muslimen, die sich in kritischen Lebensphasen befinden?
Das Beispiel spricht für sich: Die Anzahl von streng gläubigen Muslimen, die in Seniorenheimen geriatrisch versorgt werden, steigt. Betreuer, die islamisch-theologisch ausgebildet sind, können hier eine besonders große Hilfe sein. Denn sie verstehen die speziellen konfessionellen Bedürfnisse ihrer „Klienten“.
In der Jugendarbeit, der Flüchtlingsarbeit, in der Seelsorge und in der Gemeindearbeit, bei der sozialpädagogischen Arbeit und in der Psychologie, in der Schule, Justizvollzugsanstalt oder in Kliniken – überall, wo soziale Arbeit mit Muslimen stattfindet, stellen sich die zentralen Fragen: Worin liegen die spezifischen Problemlagen von Muslimen aus ihrem Glauben heraus? Und was bedeutet dies konkret für ihre Betreuer und Begleiter? Erstmals wird dazu am Department Islamisch-Religiöse (DIRS) der FAU gemeinsam mit den Akteuren im Feld qualitativ-empirisch geforscht.
Intensiver Austausch zwischen Praktikern und Wissenschaftlern
„Bei der Tagung gibt es weder wissenschaftliche Fachvorträge noch Forschungsworkshops. Sie dient dem intensiven Austausch zwischen Praktikern und Wissenschaftlern“, sagt Prof. Dr. Harry Harun Behr, Tagungsleiter und Inhaber der Professur für Islamische Religionslehre an der FAU. Zwei Tage lang diskutieren Menschen, die in der sozialen Arbeit tätig sind, muslimische Theologen und muslimische Gemeindemitglieder, Vertreter unterschiedlicher muslimischer und nicht-muslimischer Verbände und Institutionen sowie FAU-Wissenschaftler die sozialen und religionsbezogenen Kompetenzen, die in der sozialen Arbeit notwendig sind – ein Thema, das zunehmend an wissenschaftlicher und politischer Bedeutung gewinnt. Behr erläutert: „Zielführend ist dabei die Absicht, grundlegende Orientierungen zu gewinnen, zu einer besseren Vernetzung der Akteure beizutragen und zukünftige Forschungsfragen zu präzisieren.“
Bedarf an Kompetenzen und religionsbezogener Expertise
In der Studie „Islamische Theologie und soziale Arbeit“ hat der Wissenssoziologe Dr. Martin Engelbrecht vom DIRS bereits generalisierbare Hinweise erarbeitet, wo Bedarf zum Beispiel an vermittelnden Kompetenzen und an religionsbezogener Expertise besteht. „Die Studie verfolgt das Ziel, den Arbeitsmarkt abzubilden und in einer späteren Phase Kriterien zu erhalten, um einen neuen Masterstudiengang ‚Islam und Soziale Arbeit‘ zu konzeptionieren“, sagt Engelbrecht.
„An das fachliche und persönliche Profil von Berufstätigen im sozialen Feld werden deshalb besondere Anforderungen zu stellen sein, etwa einschlägige Kenntnisse mit Blick auf die Gegenwartstheologie des Islams und auf heterogene muslimische Lebenspraxen“, erläutert Tagungsleiter Behr. Daneben sind langfristiges Engagement, ein Gespür für Pragmatik, Weltoffenheit sowie eine entwickelte Empathie-, Diskurs- und Teamfähigkeit gefragt.
Die Tagung „Islam und Soziale Arbeit“ wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und findet in St. Paul in Nürnberg, Dutzendteichstraße 24, statt. In den Panels werden unterschiedliche Aspekte diskutiert:
- Ärztliche Ethik mit Berücksichtigung der Bereiche Palliativmedizin und Sterbeprozess
- Seelsorge und Psychotherapie mit Berücksichtigung des Klinischen Bereichs sowie der Bereiche Flüchtlinge und Gefängnis
- Sexualität mit Berücksichtigung adoleszenter und devianter Sexualität, außerehelicher Schwangerschaft und AIDS
- Jugend und Schule mit Berücksichtigung von Pädagogik und Schulsozialarbeit
- Kulturkompetenz, Qualifikation und Arbeitsmarktfragen mit Berücksichtigung der Bereiche Studium und Erwachsenenbildung
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Harry Harun Behr
Tel.: 0911/5302-607
hb@ewf.uni-erlangen.de