Mythos Genie: Wie sich kreatives Potenzial bei Jugendlichen heben lässt
Forscher der FAU und der TH Nürnberg untersuchen die Bedingungen, unter denen Schreiben und ästhetisches Gestalten gelingen
Wann ist ein Text eigentlich ein „guter“ Text? Und wann gelten eine Zeichnung oder ein Bild als gelungen? Objektive Kriterien, um eine kreative Leistung einzuschätzen – sei es hinsichtlich des Kreativprozesses oder des fertigen Produkts – sind Mangelware. Eine interdisziplinäre Forschergruppe unter der Leitung der FAU hat nun herausgefunden, wie man das kreative Potenzial junger Menschen entwickelt und erfasst sowie welche Rolle die Selbstreflexion im künstlerischen Schaffensprozess spielt. Ziel ist es, an Hochschulen und Schulen ein modernes Konzept für die Vermittlung kreativitätsfördernder Maßnahmen zu etablieren.
Ein weißes Blatt Papier: Nicht nur bei Anfängern, sondern auch bei gestandenen Wortprofis und Malern löst es manchmal Qualen und Ängste aus. Dabei ist der Mythos des angeborenen Genies in der Bevölkerung weit verbreitet – wenn auf der Leinwand anscheinend wie von Zauberhand wuchtige Gemälde entstehen oder wenn zwischen Buchdeckeln literarische Perlen geboren werden.
Doch kann man Kreativität tatsächlich erlernen? Und wenn ja, wie verläuft der kreative Prozess beim Schreiben und ästhetischen Gestalten und wie misst man ihn? Lassen sich vorhandene und vielleicht im Verborgenen schlummernde Fähigkeiten gezielt fördern? „Um kreativ sein zu können, sind bestimmte Voraussetzungen und Impulse notwendig, die allerdings individuell stark variieren können. So können zum Beispiel bildnerische Methoden kreatives Schreiben anregen“, sagt Prof. Dr. Susanne Liebmann-Wurmer, Inhaberin des Lehrstuhls für Kunstpädagogik der FAU.
Im Rahmen des interdisziplinären Verbundforschungsprojekts „Bildnerisches Gestalten und kreatives Schreiben in der Entwicklung des Menschen“ hat nun eine Forschergruppe unter der Leitung von FAU-Professorin Dr. Gabriele Pommerin-Götze und Prof. Burkard Vetter von der TH Nürnberg herausgefunden, worauf es ankommt, wenn es darum geht, die Kreativität ihrer Studierenden anzuregen: „Die größte Motivation für das Schreiben sind Erlebnisse, Erfahrungen und Emotionen“, erläutert Pommerin-Götze. Trotz einer „generellen Unzufriedenheit mit der Vermittlung bildnerischen Gestaltens in der Schule“ sagen Designstudenten, dass einzelne Lehrer oder Bezugspersonen sehr wohl „außerordentlich“ motivieren können.
Um zu messen, wie viel kreatives Potenzial der Einzelne beim Schreiben und ästhetischen Gestalten hat, führte die Forschergruppe Workshops mit Studierenden durch und befragte diese schriftlich nach ihren Erfahrungen und Bedürfnissen beim Gestalten von Texten und Bildern. Hinzu kamen strukturelle und kreativitätsorientierte Textanalysen sowie leitfragengestützte Interviews und Künstler-Portraits. Daraus entwickelten die Wissenschaftler ein Kriterienraster, mit dem sich kreative Leistungen beurteilen und objektiv einschätzen lassen – zum Beispiel anhand der Phantasie bzw. Originalität, des Stilmitteleinsatzes, der Wirkung und der Gestaltung und Form.
Daneben beleuchteten die Wissenschaftler den Aspekt der Selbstreflexion im Schaffensprozess, also das Wechselspiel von kreativem Handeln und Reflektieren: „Leitfragen sollen die Studierenden dabei unterstützen, das Interagieren zwischen ihrem kreativen Tun und der Reflexion bei ihrem individuellen Schreib- und Gestaltungsprozess besser kennenzulernen, um auf dieser Grundlage ein individuelles Schreibprofil entwickeln zu können“, erklärt Pommerin-Götze. Wer auf die zündende Idee beim Schreiben und Gestalten kommen möchte, besucht zum Beispiel belebte Plätze oder spricht mit anderen Menschen. Geht es aber um den Schaffensprozess an sich, gelingt dieser am besten in einer ruhigen Umgebung – und für viele am liebsten nachts.
Freiräume für die Originalität
Ihre bisherigen Ergebnisse nutzen die Forscher, um für Hochschulen und Schulen moderne didaktische Konzepte zu entwickeln, die die Synergieeffekte zwischen kreativem Schreiben und bildnerischem Gestalten nutzen – und mehr Freiräume für interdisziplinäre Projekte schaffen. Studenten sollen aber auch die Vielfalt kreativer Schreib- und Gestaltungstechniken kennenlernen. „Jungen Menschen muss man die Freiheit geben, ihren Weg zu finden und sie darin bestärken“, sagt Prof. Dr. Susanne Liebmann-Wurmer.
Interdisziplinäres Verbundforschungsprojekt
Welche Rolle das Schreiben und kreative Gestalten zukünftig spielen wird, damit beschäftigt sich seit 2010 das interdisziplinäre Verbundforschungsprojekt „Bildnerisches Gestalten und kreatives Schreiben in der Entwicklung des Menschen“. Die STAEDTLER-Stiftung hat das Projekt mit mehr als einer Million Euro unterstützt – ein für die Geisteswissenschaften herausragendes Volumen. Kooperationspartner der FAU sind die Fakultät Design der Technischen Hochschule Nürnberg Georg-Simon-Ohm und das Kunst- und Kulturpädagogische Zentrum der Museen in Nürnberg.
Das Verbundforschungsprojekt gliedert sich in fünf Teilprojekte, die sich auf alle Lebensphasen beziehen:
- Denken und bildnerisches Gestalten
- Schreiben und Malen in der Biographie
- Lesen, kreatives Schreiben und Malen als Freizeitbeschäftigung von Grundschulkindern
- Synergieeffekte zwischen kreativem Schreibens und ästhetischem Gestalten
- Persönlichkeitsbildung durch künstlerisches Gestalten
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Susanne Liebmann-Wurmer
Tel.: 0911/ 5302-522
susanne.liebmann-wurmer@fau.de