Kommerziell oder ideell: Warum die causa ADAC weitere Kreise ziehen könnte
Mehr als 15.000 Mitglieder haben dem ADAC nach den Skandalen der vergangenen Wochen bereits offiziell den Rücken gekehrt – und es werden voraussichtlich noch mehr: Auf den Verein schwappt eine Austrittswelle ungeahnten Ausmaßes zu. Für den ADAC selbst ein Desaster – doch je nach Rechtsauffassung des Gerichts könnte sich eine Diskussion mit viel größerer Trageweite anbahnen: um Vereine nämlich wie das Rote Kreuz oder Fußball-Giganten wie den FC Bayern. Die rechtliche Lage erläutert Prof. Dr. Robert Freitag, Inhaber der Lehrstuhls für Deutsches, Europäisches und Internationales Privat- und Wirtschaftsrecht an der FAU.
Warum darf sich der ADAC eigentlich Verein nennen, obwohl er doch ganz offensichtlich auch wirtschaftliche Absichten verfolgt?
Der Vereinsstatus des ADAC ist, wenn man so will, eine Besonderheit. Zunächst ist er natürlich ein eingetragener Verein („e.V.“) nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches. Grundsätzlich darf er also keine kommerziellen Zwecke im Sinne der Gewinnerzielung verfolgen, sondern er muss zur gemeinsamen Erreichung ideeller Zwecke gegründet worden sein. „Idealvereine“ lautet dafür das Fachwort. Idealvereine sind auf den Zusammenschluss von Laien zugeschnitten, die ihre privaten Interessen gemeinsam verfolgen. Im Fall des ADAC wäre das die gemeinsame Unterstützung der Mitglieder im Straßenverkehr, insbesondere die Pannenhilfe.
Als Idealverein muss er keine besonders strengen gesetzlichen Anforderungen erfüllen: Er braucht keine professionelle Leitung, ist nicht bilanzierungspflichtig und benötigt auch kein bestimmtes Mindestkapital, mit dem er seinen Gläubigern haften könnte. Ein Idealverein, der in der Abgabenordnung speziell geregelte Anforderungen erfüllt, kann außerdem den Status als „gemeinnütziger Verein“ beantragen und steuerliche Vorteile erlangen. Will sich eine private Organisation dagegen wirtschaftlich betätigen, muss sie grundsätzlich die weitaus strengeren und verpflichtenden Anforderungen des Handels- und Gesellschaftsrechts befolgen.
Allerdings dürfen auch Idealvereine in begrenztem Umfang wirtschaftliche Tätigkeiten ausüben, wenn diese dem Zweck bzw. der Idee des Vereins dienen und ihn fördern: Im konkreten Fall bedeutet das, dass der ADAC e.V. durchaus Geld einnehmen darf, um seine ideellen Leistungen wie die Pannenhilfe zu ermöglichen, solange eine Gesamtbetrachtung aller Aktivitäten des Vereins nicht dazu führt, dass man ihn als gewinnorientiert betrachten muss. Man bezeichnet das als „Nebenzweckprivileg“.
Der ADAC betätigt sich aber auch über ausgelagerte Tochterunternehmen wirtschaftlich. Ist das rechtlich zulässig?
Derzeit ja. In seinem so genannten „ADAC-Urteil“ hat der Bundesgerichtshof 1982 Idealvereinen kommerzielle Tätigkeiten, die nicht mehr vom Nebenzweckprivileg gedeckt sind, über rechtlich eigenständige Tochtergesellschaften gestattet. Konkret ging es damals um die Frage, ob der ADAC über die „ADAC Rechtsschutz Versicherungs-Aktiengesellschaft“ kommerziell im Versicherungsgeschäft tätig sein durfte. Der BGH entschied, dass die Umsätze der Tochtergesellschaft nicht als Umsätze des ADAC e.V. zu werten seien, obwohl sich sämtliche Anteile an der Tochter im Besitz des ADAC e.V. befanden.
Die Begründung: Auf Ebene der wirtschaftlich tätigen Tochtergesellschaft sei hinreichend für den Schutz der Gläubiger gesorgt. Diese Beurteilung wird als „Trennungstheorie“ bezeichnet. Die gesetzlich nicht geregelte Trennungstheorie ist allerdings seit jeher rechtlich und rechtspolitisch umstritten: Idealvereine können so faktisch über ihre Tochtergesellschaften wirtschaftliche Tätigkeiten entfalten und sich dennoch den strengen Vorgaben des Handelsrechts entziehen. Das führt zu einer geringeren Transparenz der Geschäfte, damit zu höheren Risiken für die Mitglieder des Idealvereins und zu Wettbewerbsverzerrungen. Diese Nachteile zeigen sich in der aktuellen Diskussion um den ADAC sehr deutlich.
Was kann dem ADAC auf Basis des aktuellen Verfahrens passieren?
Das Gericht wird in jedem Fall prüfen, ob der ADAC e.V. mittlerweile unmittelbar selbst – also nicht über Tochtergesellschaften – wirtschaftliche Tätigkeiten ausübt, die nicht mehr vom Nebenzweckprivileg gedeckt sind; man denke nur an den jüngst publik gewordenen Verkauf von Batterien durch Pannenhelfer. Falls das Gericht zu dieser Überzeugung kommt, stehen dem ADAC drei Optionen zur Wahl: Erstens könnte der ADAC die für seinen Vereinsstatus schädlichen wirtschaftlichen Aktivitäten ganz einstellen, was ihm vermutlich schwer fiele. Zweitens könnte er im Rahmen der „Trennungstheorie“ sämtliche wirtschaftlichen Aktivitäten in eigenständige Tochtergesellschaften auslagern und auf der Ebene des eingetragenen Vereins ausschließlich die Pannenhilfe und ähnliche nicht-kommerzielle Aufgaben verfolgen. Das wäre aus Sicht des ADAC vermutlich die attraktivste Variante. Drittens könnte der ADAC in eine Handelsgesellschaft umwandeln, wobei bei der großen Zahl an Mitgliedern nur eine Aktiengesellschaft in Betracht kommt. Dieser Weg dürfte unter den Mitgliedern wohl kaum ernstlich mehrheitsfähig sein.
Denkbar wäre aber auch, dass das Gericht die Trennungstheorie in Frage stellt, da diese gesetzlich nicht geregelt und nicht auszuschließen ist, dass der Bundesgerichtshof seine bisherige Rechtsprechung wegen ihrer genannten Defizite aufgibt. In diesem Fall wäre zu prüfen, ob der ADAC als „Konzern“, d.h. einschließlich der von ihm beherrschten Tochtergesellschaften, ein Wirtschaftsunternehmen darstellt. Falls ja, müsste der ADAC e.V. entweder sich selbst in eine Aktiengesellschaft umwandeln, was wie gesagt kaum in Betracht kommen dürfte, oder er lagert seine wirtschaftlichen Aktivitäten in Tochtergesellschaften aus und gibt zusätzlich die Mehrheitsbeteiligung an diesen kommerziellen Töchtern auf. Eine solche Zerschlagung wäre für den ADAC äußerst schmerzlich.
Nehmen wir an, das Gericht würde die Trennungstheorie ablehnen und irgendwann in letzter Instanz dem ADAC den Vereinsstatus aberkennen. Welche Folgen hätte das für andere Vereine, die ähnlich organisiert sind? Das Rote Kreuz zum Beispiel?
Eine Entscheidung in Sachen ADAC würde sich nicht grundsätzlich automatisch auf sonstige Vereine auswirken, da vor Gericht jeweils der konkrete Verein im Einzelfall zu betrachten ist. Würde sich die Aufgabe der Trennungstheorie bundesweit durchsetzen, wäre allerdings auch der Status anderer eingetragener „Idealvereine“ bedroht, die über Tochtergesellschaften wirtschaftlich tätig sind. Zu denken ist etwa an das Rote Kreuz, aber auch an Sportvereine mit Profi-Sportabteilungen, insbesondere an Fußballvereine. Diese Vereinigungen verfügen bekanntlich über großen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Einfluss und dürften bei einer Aufgabe der Trennungstheorie durch die Gerichte sicherlich politischen Druck ausüben und sich dafür einsetzen, dass die Trennungstheorie gesetzlich verankert wird.
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Robert Freitag
Tel.: 09131/85-23789
robert.freitag@fau.de