„Die Balance zwischen Genauigkeit und Signifikanz“
Die Königlich-Schwedische Akamedie hat die Preisträger des Nobelpreises für Chemie 2013 bekannt gegeben: die US-amerikanischen Forscher Martin Karplus, Michael Levitt und Arieh Warshel. Sie erhalten die Auszeichnung für die „Entwicklung von mehrskaligen Modellen für komplexe chemische Systeme“. Prof. Dr. Dirk Zahn, Professor für Theoretische Chemie an der FAU, erklärt im Gespräch mit FAU aktuell die Arbeit der diesjährigen Chemie-Nobelpreisträger.
Die US-Forscher Martin Karplus, Michael Levitt und Arieh Warshel haben den Nobelpreis für Chemie erhalten. Hat Sie die Wahl überrascht?
Eher gefreut. Es ist schön, dass in diesem Jahr Wissenschaftler aus dem Fachgebiet der Theoretischen Chemie die Auszeichnung erhalten haben – nicht zuletzt weil es die Öffentlichkeit für die Bedeutung dieses Forschungsbereichs sensibilisiert. Jeder der drei Preisträger steht für eine Reihe von signifikanten Fortschritten in der Computerchemie. Erst durch solche Entwicklungen können wir heute komplexe Fragestellungen, zum Beispiel aus der Materialwissenschaft oder der Pharmaforschung, auf molekularer Ebene besser verstehen.
Wie muss man sich denn die Arbeit eines Wissenschaftlers in der Computerchemie als Laie vorstellen?
Sie kennen vielleicht die typischen Schulmodelle von Molekülen – aus Kügelchen und Stäbchen – mit denen man versucht, die Anordnung von Atomen im Molekül anschaulich darzustellen. Mit den Methoden der theoretischen Chemie gelingt es uns, die Stäbchen, also die chemischen Bindungen zwischen den Atomen, sehr genau zu berechnen. Heutzutage können wir hochkomplexe Modelle im Rechner umzusetzen – und vor allem auch die Dynamik beschreiben, wie Moleküle sich selbst organisieren und miteinander reagieren. Wir haben damit ein spannendes Instrument, welches uns ermöglicht, im Rahmen von Computeranimationen zuzuschauen, wie Moleküle ihre Funktion ausüben.
Was sind die denn die Herausforderungen in der Computerchemie – warum ist die Arbeit der diesjährigen Nobelpreisträger so bedeutsam?
Um eine Reaktion exakt zu beschreiben, bedarf es sehr ausgefeilter quantenchemischer Rechnungen. Diese Berechnungen sind aber enorm aufwändig und können selbst auf modernsten Großrechnern nur für kleine und wenige Moleküle umgesetzt werden. Die Arbeiten von Karplus, Levitt und Warshel zielen auf geschickte Näherungsmodelle ab, welche es erlauben, Strukturen und Dynamiken viel größerer Systeme zu berechnen. Ein Enzym in seiner biochemischen Umgebung zum Beispiel ist ein sehr komplexes System.
Fehlerquellen in der Simulation liegen dabei nicht nur in der Berechnung einzelner Wechselwirkungskräfte, sondern auch in der hinreichenden Beschreibung der Vielzahl von Anordnungsmöglichkeiten. Jeder der drei Preisträger hat herausragende Beiträge zur Modellvereinfachung, und damit zu einer ausgewogenen Balance zwischen der Genauigkeit der Berechnung zwischenatomarer Kräfte und der statistischen Signifikanz des gesamten Modellsystems geleistet.
„Mache dein Modell so einfach wie möglich – aber nicht einfacher“, hat Einstein gesagt. Und das ist die große Leistung der Preisträger: ihre Methodenentwicklungen erlauben uns, diesen optimalen Grad der Vereinfachung zu finden, also die Ausgewogenheit von statistischer Aussagekraft und quantenchemischer Genauigkeit der Berechnung einzelner Anordnungen.