Sammlungen der FAU: Ein Wagenheber für das „Retortenbaby“
Wissenschaftlicher Fortschritt lebt oft genug vom Improvisationstalent der Forscher. Einen Beweis dafür beherbergt die Medizinische Sammlung der FAU: Reproduktionsmediziner der Frauenklinik Erlangen bauten in den 1980er Jahren kurzerhand einen Wagenheber so um, dass die Eizellen für die Experimente optimal tiefgekühlt werden konnten.
1982 kam in der Frauenklinik Erlangen das deutschlandweit erste „Retortenbaby“ zur Welt. Einige Jahre später konnte das reproduktionsmedizinische Forscherteam um Prof. Trotnow zwei weitere Deutschlandpremieren feiern: Die Geburt der ersten Babys aus einem tiefgefrorenen Embryo (1986) bzw. aus einer tiefgefrorenen Eizelle (1987).
Im Vorfeld hatte das Forscherteam eine ganze Reihe technischer Probleme zu lösen, denn Eizellen sind sehr kälteempfindlich. Sie überleben normalerweise keinen Frost und vertragen keine Temperaturschwankungen. Deshalb war es wichtig, die Eizellen ganz langsam und schwankungsfrei abzukühlen.
Die meisten Forschergruppen verwendeten dafür ein „geschlossenes System“, eine Art Kühlungskammer, die teuer und umständlich zu bedienen war. In Erlangen entschied man sich dagegen für das „offene System“, das von Tierärzten des Besamungsvereins Neustadt/Aisch entwickelt worden war.
In einer oben offenen Styroporbox, deren Boden mit flüssigem Stickstoff bedeckt ist, stellt sich nach einer Weile ganz von selbst ein stufenloses Temperaturgefälle ein, das von der Raumtemperatur an der Oberkante der Box bis zur Temperatur von flüssigem Stickstoff (-196°C) an ihrem Boden reicht. Durch ein langsames Absenken der Eizellen in die Box – oder ein Anheben der Box selbst – erzielt man die gewünschte schonende Abkühlung.
Die Tierärzte in Neustadt stellten die Box dafür auf einen Klavierstuhl, den sie ganz langsam nach oben drehten. In Erlangen schraubte man einen Wagenheber und einen Elektromotor zu einer Versuchseinheit zusammen. Die Steuerung erfolgte dabei noch manuell: Bei einer Abkühlung auf -70°C konnte es sieben Stunden dauern, bis die Eizellen im Stickstoff angekommen waren. Später ersetzten Mitarbeiter des Lehrstuhls für Regelungstechnik den Wagenheber durch eine elektronische Steuerungseinheit. In dieser automatisierten Form ging das „offene System“ der Firma CTE (Cryotechnik Erlangen) Anfang der 1980er Jahre in die Serienproduktion.
Der Wagenheber ist Teil der Medizinischen Sammlung der FAU. Führungen sind im Rahmen des Collegium Alexandrinum oder nach Anmeldung möglich.