Wissenschaft in der Schwebe
FAU testet vier Versuchsaufbauten im Parabelflug
Gut für die Wissenschaft, dass es die Parabelflugkampagne des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) gibt: An vier Flugtagen bietet sie Wissenschaftlern jeweils 31 Mal für etwa 22 Sekunden die Chance, Experimente in Schwerelosigkeit durchzuführen. Diese Gelegenheit nutzen Zellbiologen der FAU in diesen Tagen, um gleich vier verschiedene Experimente auf einen Parabelflug zu schicken. Mit dabei: das „Haustier“ der Forschergruppe, die einzellige Grünalge Euglena gracilis. Mit ihrer Hilfe wollen die Forscher untersuchen, wie sich der Stoffwechsel in Schwerelosigkeit verändert. Gleichzeitig testen sie neue Apparaturen, die künftig beispielsweise die Produktion von Lebensmitteln überwachen oder Abwasser in entlegenen Regionen der Welt in Düngemittellösung verwandeln könnten.
Sie haben bereits ein Aquarium ins All geschossen – nun macht die Arbeitsgruppe Gravibiologie von PD Dr. Michael Lebert am Lehrstuhl für Zellbiologie der FAU den „Abflug“: Mit vier Versuchsaufbauten, in deren Zentrum immer die einzellige Grünalge Euglena gracilis steht, nehmen sie an der 23. Parabelflugkampagne der DLR teil, die dieser Tage im französischen Bordeaux startet.
Experiment Nummer eins und zwei: Die Forscher haben zum einen Euglena mit einem Farbstoff behandelt, der Änderungen im Stoffwechsel der Zelle – die durch die plötzliche Schwerelosigkeit eintreten – durch eine Farbänderung anzeigt. Zum anderen werden einige 100 mL Zelllösung in verschiedenen Phasen der ersten Parabel fixiert, also schnell abgetötet, ohne dabei bestimmte Eigenschaften der Zellen zu verändern. Später werden sie dann im Labor untersucht. Lebert und sein Team hoffen so, Aufschluss darüber zu erhalten, wie ein Einzeller in der Lage ist, Richtungen wahrzunehmen, sei es von Licht oder Schwerkraft – etwas, wofür Mensch und Tier mehrere komplexe Organe ausgebildet haben.
Experiment Nummer drei und vier: Im Vorfeld eines größeren Projekts werden in der Parabel außerdem zwei kritische Komponenten getestet, um ein technologisches Entwicklungsziel zu erreichen. Das erste ist ein Gerät, das später einmal vollautomatisch interessante Gene in unterschiedlichsten Zellproben analysieren soll; zunächst ist dies natürlich für die Raumfahrt interessant, in der solche Experimente in Zukunft immer wichtiger werden dürften. Wichtig aber: Ein solches Gerät könnte in Zukunft auch in verschiedenen Gebieten im alltäglichen Leben eingesetzt werden, etwa um die Produktion von Lebensmitteln zu überwachen – und etwa „genetische Hufabdrücke“ vom Pferd in einer Lasagne finden – und Verunreinigungen schnell zu erkennen. Auch medizinische Tests könnten sich mit dem Gerät automatisieren lassen.
Schließlich wird noch ein Rieselfilter der Schwerelosigkeit ausgesetzt, der später einmal zur (Ab-)Wasserbehandlung in unerschlossenen Regionen verwendet werden kann – aber auch in Satelliten oder Raumstationen.
Bei einem Parabelflug fliegt ein speziell angepasster Airbus A-300 der Firma Novespace von Bordeaux aus zu einem Gebiet mit wenig Flugverkehr, meist über der Biskaya oder dem Mittelmeer. Um Schwerelosigkeit zu erreichen, zieht der Pilot die Maschine zunächst steil nach oben, wobei im Inneren dann plötzlich fast die doppelte Erdbeschleunigung herrscht: Jeder 70-kg-Wissenschaftler muss auf einmal einen fast 140 kg schweren Körper bewegen. Wenn das Flugzeug einen 45°-Winkel erreicht hat, nimmt der Pilot Gas weg, das Flugzeug bewegt sich nur noch mit seinem eigenen Schwung nach oben. Es überwindet den höchsten Punkt der Parabel und stürzt dann wieder nach unten, bis der Pilot es bei etwa 45° wieder abfängt. Wenn Geschwindigkeit und Winkel stimmen, herrscht während dieser Zeitspanne Schwerelosigkeit. Bei einer Mond- oder Marsparabel reicht es nicht ganz fürs Abheben, die Parabel ist zu flach: Ähnlich, wie wenn man mit dem Auto schnell über eine Kuppe fährt, tritt ein Zustand reduzierter Schwerkraft ein. Nach der Parabel beim Abfangen herrscht wieder fast doppelte Erdbeschleunigung, und dann, nach einer kurzen Pause, beginnt eine neue Parabel.
Für die Arbeitsgruppe fliegen unter anderem die Doktorandin Ina Becker und die Masterstudentin Laura Pölloth, die danach sofort die Analysen im Labor starten. Als Erstflieger werden sie von zwei „Vielfliegern“ unterstützt, dem Doktoranden Adeel Nasir und Dr. Sebastian M. Strauch, die beide schon fast 200 Parabeln hinter sich haben. Erste Ergebnisse ihrer Tests erwartet das Forscherteam im Oktober.