Strafe für einen Tabubruch, aber kein Einmarsch

Christian Thuselt (Bild: privat)
Christian Thuselt

FAU-Politikwissenschaftler Christian Thuselt zur Lage in Syrien

Die Telefone liefen in dieser Woche heiß zwischen den Regierungen in Washington, London, Berlin, Moskau und Peking: Mit dem bevorstehenden Militärschlag der USA hat die Lage in Syrien eine neue Dynamik erhalten. Warum jedoch ein militärisches Eingreifen des Westens keineswegs die Macht von Bashar al-Asad beenden würde, erklärt Christian Thuselt, Syrien-Experte an der Professur für Zeitgeschichte/Politikwissenschaft des Nahen und Mittleren Ostens der FAU.

„Einleitend sei gleich vorausgeschickt, dass wir immer noch nicht genau wissen, ob denn nun Chemiewaffen in Syrien eingesetzt wurden und – wenn ja – von wem. Mittlerweile häufen sich die Indizien allerdings. Einem französischen Team der Zeitung Le Monde gelang es nach Kämpfen in einem Ort bei Damaskus Haar-, Blut- und Urinproben aus dem Lande zu schaffen und an einem französischen Institut  untersuchen zu lassen: Das Gift konnte nachgewiesen werden. Ebenso ist es mindestens unwahrscheinlich, dass dutzende syrische Ärzte entsprechende Diagnosen ohne weiteres fälschen könnten. Doch welches Interesse – um diese Frage dreht sich im Moment die öffentliche Debatte – sollte das Assad-Regime, das ja derzeit eigentlich militärisch auf dem Vormarsch ist, daran haben, Giftgas einzusetzen – und damit eine Intervention heraufzubeschwören, die die eigene Machtposition gefährdet?

Diese Frage ist nur auf den ersten Blick eine rhetorische, denn: Die  syrische Regierungsarmee befindet sich keineswegs auf direktem Weg zum Sieg. Die Eroberung einiger Gebiete – vor allem der 30.000-Einwohner-Stadt Qusayr direkt an der libanesischen Grenze – bedeutet bislang lediglich, dass sich die geschwächte Armee unter Mobilisierung immer konfessionalistischer werdender Milizen stabilisiert hat. Viele Anhänger aus dem Kern des Systems um Bashar al-Asad aber halten einen Sieg für unerlässlich – und zwar um jeden Preis: Nach den Massakern, die aufständische sunnitische Islamisten Anfang der 1980er Jahre an Funktionären des Regimes – primär an jenen alawitischer Herkunft – verübten , sind die Parteigänger von Präsident al-Asad gewarnt. Mit dem vermehrten Auftreten extremistischer Jihadisten im Lande, die wahllos Nicht-Sunniten töten, ist diese Furcht existentiell genug, um für einen Sieg jedes Risiko einzugehen.  Ein Risiko übrigens, das in diesem Fall tatsächlich überschaubar ist, denn selbst der Einsatz von chemischen Waffen wird die westlichen Staaten kaum dazu bewegen, in einem Umfang militärisch zu intervenieren, der einen Regimesturz herbeiführen würde. Welche Folgen hätte also eine Militärintervention?

Die recht brüske Polemik des Journalisten Robert Fisks in der britischen Tageszeitung Independent, eine Intervention der USA in Syrien würde das Handwerk al-Qa`idahs erledigen, ist mit Sicherheit verfehlt: Die Luftschläge der USA und eventuell weiterer Nationen werden für das Regime in Damaskus wohl nicht existentiell ausfallen. Sie werden die syrische Regierungsarmee vielleicht schwächen, nicht jedoch zerschlagen. Dafür wäre ein Einmarsch am Boden erforderlich – und danach sieht es momentan nicht aus. Die Gründe liegen auf der Hand: Die Erfahrungen aus dem Irakkrieg sind bitter genug,  die gegenwärtige ökonomische Krise der USA ist es auch. Vor allem aber scheint, als habe Obama aus den Fehlern der Bush-Regierung gelernt: Ein Einmarsch ohne Konzept für ein System der Konfliktverriegelung danach würde lediglich zum totalen Zusammenbruch aller politischen Institutionen führen. Da jedoch in Syrien besonders viele Beschäftigte ökonomisch direkt oder indirekt vom Staat abhängig sind, wäre eine solche totale Implosion für viele geradezu existenzbedrohend. Überlebensnotwendig wäre also ein substanzielles Nation-building im Lande, das die bisherige Ordnung ersetzen könnte.

Für ein solches Nation-building allerdings fehlen – im Land selbst, aber auch auf regionaler Ebene – die Partner:  Die Regierung hat die Kontrolle über weite Teile des Landes verloren. Die Opposition zerfasert. Die Rolle der Muslimbrüder etwa ist schwer einzuschätzen. Und schließlich hat zwar das zu Beginn letzten Jahres gerade einmal wenige hundert Mann zählende al-Qa`idah-Netzwerk „al-Nusrah-Front“ heute wohl an die  6.000 bis 8.000 Mann: Doch deren Loyalität ist zweifelhaft.  Genau in dieser Unberechenbarkeit liegt das Problem: Niemand könnte für eine politische Lösung gleich welcher Art Garantien geben. Die allgemeine Erosion zentraler Machtausübung auf beiden Seiten ließe nur wenig Verlässlichkeit erwarten.

Allein schon aus dem so begründeten Mangel an Partnern werden die Luftschläge – wenn sie denn stattfinden – wohl nicht mehr sein als ein starkes Symbol, nach dem  Motto: „Tut das bloß nie wieder“. Sie werden vielleicht nicht einmal den Krieg wenden. Das syrische Regime soll für seinen mutmaßlichen Tabubruch bestraft werden. Ein unkontrolliertes Zerbrechen des Landes jedoch, vielleicht sogar Kampfgas in den Händen von al-Qa`idah, kann und wird niemand in Amerika wollen.“

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Christian Thuselt
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