Eine neue Landlust?
Über den eigentümlichen Boom des Ländlichen auf dem heutigen Zeitungsmarkt
Dr. Sebastian M. Büttner vom Institut für Soziologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat sich gefragt, worauf der fulminante Erfolg der Magazinsparte Landlust & Co. zurückzuführen ist.
Landleben ist „in“. Viele Deutsche scheinen das Getöse der Städte, die Hektik der Autobahnen, das Dauerklingeln der Smartphones und die Eintönigkeit der Supermärkte satt zu haben. Sie sehnen sich zurück nach dem „einfachen“ und dem „echten“ Leben im Grünen und auf dem Land, zwischen Streuobstwiesen und Sonnenblumenfeldern. Ein Leben, in dem die Kleidung nicht mehr von der Stange, das Fleisch nicht mehr aus Massentierhaltung und das Gemüse frisch aus dem heimischen Garten – oder zumindest vom nächstgelegenen Hofladen – stammen.
Dieser Eindruck entsteht zumindest bei einem Blick über die Auslagen in Bahnhofsbuchhandlungen und Zeitungsläden. Neben einer Vielzahl an Gartenzeitschriften tauchen dort seit einigen Jahren immer mehr Zeitschriften mit Titeln wie Landlust, Liebes Land, Mein Schönes Land, LandIdee oder Hörzu Heimat auf. Und es scheint, als würden es monatlich mehr. Denn der Markt von „Landstyle“-Magazinen, die das Landleben zum „Lifestyle“ erheben, boomt gewaltig. Der Pionier und Marktführer dieser Zeitschriftensparte, die seit etwa sieben Jahren erscheinende Zeitschrift „Landlust“, hat unlängst mit einer Auflage von knapp 1,1 Millionen verkauften Exemplaren im ersten Quartal 2013 einen neuen Auflagenrekord verkündet. Damit übersteigt die Auflage von Landlust bei Weitem die Auflage führender Mode- und Lifestyle-Magazine, aber auch großer deutscher Tages- und Wochenzeitungen. Zum Vergleich: Der Spiegel, größtes Nachrichtenmagazin Deutschlands, verkauft derzeit rund 880.000 Exemplare seiner Print-Ausgabe. Die Auflage der Frauenzeitschrift Brigitte liegt bei etwa 500.000 Exemplaren. Und selbst die Auflage der Bild-Zeitung, Deutschlands auflagenstärkste Zeitung, ist mit 2,4 Millionen Exemplaren nur etwa doppelt so groß.
Was steckt hinter diesem gewaltigen Boom der neuen Land-Magazine? Ist er Ausdruck einer neuen Massenbewegung, die gemeinsam mit dem Trend zu mehr Bio- und Fair-Trade-Produkten auf Wochenmärkten und in Supermarkt-Regalen eine Trendwende im Konsumverhalten in Deutschland andeuten? Deutet sich in Deutschland gar eine Renaissance des ländlichen Lebens an? Aus soziologischer Perspektive ist immer eine gehörige Portion Skepsis gegenüber allzu plakativen Trendaussagen angebracht, und es gilt zu differenzieren.
Denn die demographischen Entwicklungen sprechen eine andere Sprache. Die Hauptströme der Migration gehen derzeit in die entgegengesetzte Richtung: vom Land in die größeren und mittelgroßen Städte und deren Randgebiete. Prosperierende und pulsierende Ballungsräume wie München, Frankfurt, Köln, Düsseldorf oder Berlin verzeichnen enorme Zuwächse – gerade von jüngeren, gut ausgebildeten Menschen, oder von Jugendlichen, die es für ihre Ausbildung und ihr Studium in die Metropolen zieht. Ländliche Gebiete sind schon jetzt von infrastruktureller Unterversorgung bedroht – Stichwort Ärztenotstand.
Das Umweltbewusstsein und auch das Bewusstsein für den besonderen Wert ökologisch erzeugter Lebensmittel allerdings haben sich in den vergangenen zwei, drei Jahrzehnten in der Tat enorm entwickelt. Nicht umsonst springen Supermärkte und Discounter in großem Stil auf diesen Zug auf.
Doch deckt sich der Boom von Landlust & Co. tatsächlich mit dem Trend zu mehr Nachhaltigkeit und dem Aufstieg eines neuen, ökologisch orientierten Pioniermilieus von Biobauern, Postmaterialisten und Aussteigern? Ein kurzer Blick in die neuen Land-Magazine lässt eher Gegenteiliges vermuten: Die Hefte kommen betont unkritisch, unpolitisch und vor allem unideologisch daher. Leserinnen und Leser werden nicht belehrt, nicht über aktuelle Verwerfungen im Agrarsektor oder in der Futtermittelindustrie aufgeklärt. Und die Magazine werben auch nicht für oder gegen eine bestimmte Art von landwirtschaftlicher Erzeugung.
Genau genommen geht es in den Land-Magazinen überhaupt sehr wenig um Landwirtschaft im engen Sinne und um den Alltag im ländlichen Raum. Anstelle der Beschwerlichkeiten der Spargelernte werden pünktlich zur Spargelzeit anregende Rezepte zur Zubereitung von Spargel präsentiert. Die Redaktion begleitet Imker bei ihrer Arbeit und schaut jungen Familien beim Einwecken von Streuobst nach altem Rezept über die Schulter. Alles ist farbenfroh und bunt bebildert und wirkt in erster Linie schön, harmlos, nett und lebensfroh.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Das soll nicht heißen, dass Landlust & Co. frei sind von Inhalten oder Botschaften. Die Magazine vermitteln sehr wohl Werte, die denen der politisch motivierten Öko- und Nachhaltigkeitsbewegung gar nicht unähnlich sind. Man denke etwa an Werte wie Ruhe, Reduktion und Entschleunigung, aber auch den Sinn für die Schönheit der Natur und die Wertschätzung von alten ländlichen Traditionen und kulturellen Praktiken, die unserer „posttraditionalen Wissensgesellschaft“ immer mehr abhandenkommen. In einer Gesellschaft, in der der Anteil der Beschäftigung im landwirtschaftlichen Sektor innerhalb von einem halben Jahrhundert von 30 Prozent auf 2 Prozent zusammengeschrumpft ist, geht der direkte Kontakt zur landwirtschaftlichen Produktion allmählich verloren.
Ein Großteil des Erfolgs von Landlust & Co. besteht wohl darin, dass sie diesen Kontakt simulieren und an die vorherrschenden ästhetischen Muster und Praktiken der gegenwärtigen Konsumgesellschaft anschlussfähig machen. Eine reale Entwicklung aber bilden sie nicht ab. Und das wollen sie auch nicht: Alte Werte werden nicht gegen die vorherrschende Konsumkultur gestellt. Sie werden ihrerseits als Konsum-Angebot präsentiert. Eine Lifestyle-Option, die man wählen kann oder auch nicht. Nichts, das weh tut und direkt zum Handeln oder zum Umdenken zwänge. In diesem Sinne fügen sich Landlust & Co. ein in die lange Tradition der Natur- und Landromantik des konservativen Bürgertums, die gerade in Deutschland schon immer sehr ausgeprägt war und in der Konsumgesellschaft der Nachkriegszeit immer neue und immer buntere Formen und Muster entwickelt hat – von Landhausmöbeln bis zum All-Inclusive-Urlaub auf dem Bauernhof. Das Schwelgen in Landstyle-Magazinen ist dabei nur eine Option unter vielen.
Weitere Informationen:
Dr. Sebastian Büttner
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