Das NSU-Verfahren ist keine Wiedergutmachung

PD Dr. Gabriele Kett-Straub (Bild: FAU)
PD Dr. Gabriele Kett-Straub (Bild: FAU)

Schockiert hatte die deutsche Öffentlichkeit auf das Bekanntwerden der NSU-Mordserie reagiert: Das Land musste sich mit Terror von rechts und dem größten Verfassungsschutzskandal der jüngeren bundesrepublikanischen Geschichte auseinandersetzen. Am 6. Mai beginnt nun der Prozess gegen Mitglieder des Nationalsozialistischen Untergrunds und ihre mutmaßlichen Helfer. Die Beteiligten stehen vor einer großen Aufgabe. Worin diese Aufgabe besteht, erläutert Privatdozentin Dr. Gabriele Kett-Straub vom Lehrstuhl für Strafrecht und Kriminologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU).

Die Erwartungen der Gesellschaft an den NSU-Prozess sind groß – zu groß, als dass sie das OLG München erfüllen werden kann. Die Öffentlichkeit erwartet nichts weniger als die Aufklärung der im Nachhinein nicht nachvollziehbaren vielen eklatanten Ermittlungsfehler der Behörden, damit den Angehörigen der zehn Mordopfer endlich Gerechtigkeit widerfährt. Doch den Anspruch auf Wiedergutmachung kann nicht nur dieser besondere Prozess nicht leisten. Dies ist eine Aufgabe, der kein Strafverfahren gerecht werden kann. Dies wäre Sache der Politik und nicht der Justiz.

Ziel eines jeden Strafverfahrens ist es, einen Angeklagten seiner schuldangemessenen Strafe zuzuführen, sofern ihm die zur Last gelegten Vorwürfe in einem rechtsstaatlichen Verfahren nachgewiesen werden können. Die Richter haben also „nur“ die Aufgabe, die Wahrheit bezüglich der angeklagten Straftaten zu ermitteln. Neben diesem zentralen Anliegen wird ein Strafverfahren nur am Rande auch Genugtuungsbedürfnisse der Opfer bzw. der Hinterbliebenen stillen können. Das ist nicht die Leitidee eines Strafverfahrens und sollte es auch nie werden. Zwar haben Opfer und Hinterbliebene inzwischen weitreichende Beteiligungsrechte im Rahmen der Nebenklage, doch im Mittelpunkt eines Prozesses hat zwingend der Angeklagte zu stehen und nicht das Opfer. Es geht um seine Strafe und damit sein weiteres Leben.

Wenn nach den ersten Verhandlungstagen der Alltag in München einkehrt sein wird, geht es um Rechts- und Beweisfragen. Es wird sich alles um die Hauptangeklagte Beate Zschäpe drehen und kaum um die Opfer der ihr zur Last gelegten Taten. Zwar ist pro Tat mindestens ein Verhandlungstag eingeplant, doch auch an diesem speziellen Tag wird eben nicht dem jeweiligen Opfer und dessen ausgelöschtem Leben das Hauptaugenmerk gezollt werden. Im Mittelpunkt steht immer die Tat selbst. Für das Gericht zählt, dass ein Mensch ermordet wurde, aber nicht, wer dieser Mensch war und ob seinem Andenken und seinen Angehörigen nach der Tat Unrecht widerfahren ist. Auch das Vorleben der Opfer wird keine große Rolle spielen. Aufgabe des Strafverfahrens kann es nicht sein, die Ehre der Opfer wiederherzustellen. Für die Hinterbliebenen wird diese Erfahrung enttäuschend sein.

Das Gericht wird viel Zeit darauf verwenden, über das Leben der Angeklagten zu reden, man wird sich mit ihrer Kindheit und Jugend befassen und überlegen, wie es zu dem schlimmen Hass auf Menschen kommen konnte. Es wird über ihre politischen Ziele und Motive spekuliert werden, denn Frau Zschäpe wird sich nicht selbst erklären. Sie wird von ihrem Schweigerecht Gebrauch machen, kein Winkelzug ihrer drei Strafverteidiger, sondern ein elementarer Grundsatz in einem jeden Strafverfahren. Niemand muss sich selbst belasten und in dieser Konsequenz dürfen aus der Tatsache, dass ein Angeklagter schweigt auch keine negativen Schlüsse gezogen werden.

Die Angehörigen der Opfer, die möglicherweise von ihr Worte der Reue erwarten, werden auch in diesem Punkt enttäuscht werden. Solche Worte werden nicht fallen, denn damit würde sich die Angeklagte möglicherweise selbst belasten. Schließlich wird sich das Verfahren vor allem um die elementare Rechts- und Beweisfrage drehen, ob die Hauptangeklagte Täterin oder eine so genannte Teilnehmerin war. Käme man zum Ergebnis, die Angeklagte hätte fremde Straftaten tatkräftig unterstützt, wäre sie nur wegen Beihilfe strafbar. Für die Annahme einer Mittäterschaft müsste dagegen bewiesen werden, dass sie mit ihren Komplizen einen gemeinsamen Tatplan hatte und die eigenen Taten auch arbeitsteilig mit diesen ausführte.

Dies erfordert nicht zwingend ihre Anwesenheit an den Tatorten. Vielmehr könnte ein Defizit bei der Tatbegehung durch einen wesentlichen Tatbeitrag im Vorfeld ausgeglichen werden. Für die Hinterbliebenen mag die Differenzierung zwischen einer fremden und einer eigenen Tat eine Petitesse sein, für Frau Zschäpe bedeutet dies den Unterschied zwischen einer lebenslangen und einer nur zeitigen Freiheitsstrafe.

Und angenommen, das Gericht sollte am Ende der Beweisaufnahme nicht von einer Mittäterschaft der Hauptangeklagten überzeugt sein, dann wäre dies kein Zeichen für ein erneutes Versagen des Rechtsstaates, sondern für sein Funktionieren.

Weitere Informationen:

PD Dr. Gabriele Kett-Straub
Tel.: 09131-85 26371
Gabriele.Kett-Straub@fau.de