Aus zwei mach eins: Vom deutsch-französischen Gegensatz zur Einigung Europas

Dr. Claus W. Schäfer (Bild: FAU)
Dr. Claus W. Schäfer (Bild: FAU)

Warum 50 Jahre nach der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags Frankreich Deutschland nicht mehr fürchtet, erklärt Dr. Claus W. Schäfer, Geschäftsführer des Zentrums für Angewandte Geschichte (ZAG) an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU).

Frankreich und Deutschland verbindet eine kriegerische Geschichte – und eine, die von der Furcht Frankreichs vor einem allzu starken deutschen Nachbarn geprägt ist. Die Gründung des zweiten Kaiserreiches am 18. Januar 1871 – im Verlauf des deutsch-französischen Krieges – formte in der Mitte Europas eine Macht, die auf dem Kontinent kaum Platz hatte: Zu stark für das europäische Gleichgewicht, zu schwach für eine Hegemonie über den Kontinent, ging das Kaiserreich in Folge des Ersten Weltkrieges unter – der auch und vor allem ein deutsch-französischer Konflikt war. Verzweifelt versuchte Frankreich mit seinen Verbündeten bei den Friedensverhandlungen die deutsche Macht zu beschränken. Doch trotz territorialer Beschneidungen, militärischer Beschränkungen und finanziellen Belastungen erstarkte Deutschland in der „Zwischenkriegszeit“ so sehr, dass es sich unter der Führung Adolf Hitlers in Eroberungsabenteuer stürzen konnte. Dass zu seinen ersten Opfern Frankreich zählte, liegt in der Logik der beschriebenen Entwicklung.

Nicht erstaunlich also, dass Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg nichts mehr fürchtete als ein Wiedererstarken des zunächst besetzten, später geteilten Deutschlands. Diese  Furcht gebar den Gedanken, die potenzielle Stärke Deutschlands zur Sicherheit Frankreichs in einem geeinten Europa aufgehen zu lassen – und mündete in der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), an der sich außer Frankreich und Deutschland auch Italien, Belgien, die Niederlande und Luxemburg beteiligten.

In einem zweiten Schritt sollte eine europäische Armee, in die die über kurz oder lang wieder entstehenden Streitkräfte Westdeutschlands eingegliedert werden sollten, für mehr Sicherheit vor den deutschen Nachbarn sorgen. Diese „Europäische Verteidigungsgemeinschaft“ jedoch scheiterte an der französischen Nationalversammlung: Die Angst vor einem Kontrollverlust über die eigenen Streitkräfte war zu groß. Und so blieb den Europäern nur die Option, die wirtschaftliche Integration weiter voranzutreiben: In den 50er Jahren gründeten sie die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), dann die für die zivile Nutzung der Atomenergie in Europa zuständige Euratom, Mitte der 60er fassten sie EWG, Euratom und EGKS in der Europäischen Gemeinschaft (EG) zusammen. Die Rechnung ging auf: Die EG hat den Frieden auf dem Kontinent gewahrt, seinen Wohlstand gefördert und Frankreich die Furcht vor Westdeutschland genommen. Kein Wunder, dass Paris auf einer weiteren „Europäisierung“ des 1989/1990 plötzlich wieder zu vereinigenden Deutschlands bestand. Die Weiterentwicklung der EG zur Europäischen Union (EU) und die Einführung des Euro sowie einer Europäischen Zentralbank waren das Ergebnis und der Abschluss der europäischen Nachkriegsentwicklung.

Und so ist die französische Furcht vor Deutschland fünfzig Jahre nach der Unterzeichnung des sogenannten Élysée-Vertrages zur deutsch-französischen Zusammenarbeit Geschichte: Die weitere Entwicklung Europas wird sie nicht mehr bestimmen. Der europäische Einigungsprozess hat inzwischen so viel Eigendynamik entwickelt, dass er kaum mehr zu bremsen ist. Deutschland und Frankreich werden aufgrund ihrer gemeinsamen Geschichte zusätzliche Anstöße geben. Die Themen liegen mit der internationalen Finanz- und europäischen Schuldenkrise auf der Hand.

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Dr. Claus W. Schäfer
Tel.: 09131/85-25466
claus.schaefer@zag.uni-erlangen.de